vom Matador zum Lieferwagen mit dem Stern

Vom Tempo-Matador zum Lieferwagen-Programm mit Mercedes-Stern

Nach einem Artikel aus der Werkszeitung des Tempo Werks „Scheinwerfer 2“ aus 1975

Bis ins Jahr 1926 lässt sich die Entwicklung der leichten Transporter-Baureihe von Mercedes zurückverfolgen. Der in Hamburg-Wandsbek ansässige Kohlen- und Brennstoffhandel, die Firma Vidal & Sohn, beauftragte damals zwei befreundete Schlossermeister,  an die schottischen Pferdekarren für den Brennstoff-Transport den Antriebsteil eines Motorrades anzubauen. Das war die Geburtsstunde des ersten Tempo-Dreirads. Der Name des Vorderladers schlicht und einfach: T 1.

Von dem Urahn des Lieferwagens für den innerörtlichen Ausfahrbetrieb bis zum Transporter Baujahr 1974 mit der internen Bezeichnung P 14 (P = Projekt) spannt sich der Bogen über annähernd fünf Jahrzehnte ereignisreichen und fortschrittlichen Lieferfahrzeugbau. In den Annalen sind nicht weniger als 39 Entwicklungsstationen festgehalten – Phasen eines wechselhaften, von vielen Einflüssen der Zeitgeschichte mitbestimmten Lebens.

1949 erblickte der Matador mit VW-Motor das Licht der Lieferwagenwelt. V-förmiger Doppelrohrrahmen, Einbau des Motor-Getriebeblocks rittlings als Mittelmotor hinter der Vorderachse, Frontantrieb.

Auf einen Kühlergrill konnte der luftgekühlte Matador verzichten. (Hier auf dem Bild ein sehr früher Prototyp.)

Wir wollen die Tempo-Chronik nicht von Anfang an durchblättern, sondern dort einsetzen wo sie für den deutschen Transporterbau besondere Bedeutung erlangt hat. Vieles, was sich nach der Übernahme von Hanomag-Henschel durch Mercedes an den Leichttransportern getan hat – im Entwicklungs- und Versuchsbereich sowie in der Fertigung – ist der Öffentlichkeit und den primär interessierten Haltern von Lieferwagen in der Klasse von 1.000 bis 1.750kg Nutzlast bisher weitgehend vorenthalten geblieben.

Matador-Motoren: VW, Heinkel, Austin

Die Tempo-Werke und das Dreirad-Lieferfahrzeug waren in Deutschland ein Begriff. Nicht umsonst, denn in den Jahren 1928 bis 1956 wurden nicht weniger als 111 501 Dreiräder gebaut, zunächst als Vorderlader und ab 1932 auch als Fronttriebler. Ehemalige Dreiradbesitzer preisen heute noch die Wirtschaftlichkeit der auf drei Füßen etwas wackelig stehenden Lieferwägelchen.

Vorderlader, Dreiräder, Vierrad-Tempo mit dem Motor „untersitz“

Von den Vierrad-Tempos, mit denen die Hamburger 1938 als Haubenwagen für eine Tonne Zuladung begannen, erlangte nach dem Zweiten Weltkrieg der Tempo-Matador in neuartiger Kurzhaubenform und mit luftgekühltem 1.131 cm³ VW-Motor Bedeutung. In dem aus einem Rohrrahmen in V-Form, einzeln aufgehängten und schraubengefederten Hinterrädern sowie Querblattfederung vorn, gebildeten Fahrwerk war der Antriebsblock (Motor-Kupplung-Getriebe) rittlings eingebaut, d. h. vorn saß das Getriebe, dahinter der Motor. Dieser keineswegs alltäglichen Lösung war es zuzuschreiben, dass der Tempo-Matador einer der wenigen Lieferwagen war und geblieben ist, der keinen Kühlergrill besaß. Das Auto konnte von Tempo gar nicht so schnell gebaut werden, wie es Abnehmer fand.

Als der Matador für den seit 1950 vom Volkswagenwerk selbst vertriebenen VW Transporter Typ 2 spätestens ab Ende 1951 ein ernstzunehmender Konkurrent wurde, hieß es für Tempo, Ausschau nach einem anderen Motor zu halten. Gerüchten zufolge soll es keinen Liefervertrag zwischen VW und dem Tempo Werk für die Motoren gegeben haben. Wohl auch aus diesem Grund wurde die Belieferung mit VW-Motoren Ende 1952 beendet.

Modellwechsel schon nach 3 Jahren Matador 1000/1400

Als Matador 1000 kam bereits im Frühjahr 1952 der Nachfolger mit einem 680cm³ Zweitakt-Dreizylinder, und als Matador 1400 ab Juli 1952 das Modell mit einem 1100 cm³ Viertakt-Vierzylinder-Heinkel-Motor auf den Markt. Technisches Konzept wie gehabt, der Platz des Motors blieb unter den Sitzen im rückwärtigen Teil des Fahrerhauses. Parallel zu den neuen Modellen wurde noch der Matador mit VW-Motor der alten Serie als Chassis mit Kabine für Karosseriebauer und das Sondermodell „Matador Luxus“ mit Hebmüller Karosserie bis Oktober 1952 produziert und ausgeliefert.

1953 stellte Tempo dann den Wiking vor, der das Erbe des bewährten Dreirades mit einem 448 m³ Heinkel Zweizylinder Zweitaktmotor zunächst 17 PS und 750kg Zuladung antreten sollte.

Aber auch die Verbindung von Tempo mit Heinkel war nicht von langer Dauer, und als Vidal & Sohn und Hanomag sich 1955 zu einer Kooperation entschlossen, trat der Matador I mit einem neuen Fahrerhaus-Styling, einem Kühlergrill und ab 1957 mit Austin-Motor A 50 auf den Plan.


Parallel zu dem neuen Matador I wurde 1956 weiterhin das Sondermodell „Matador 1400 Luxus“ der alten Serie mit modifizierter Hebmüller Karosserie (große Panorama Frontscheibe) und dem Heinkel Viertaktmotor produziert und ausgeliefert.

Die Verbindung Tempo-Hanomag erwies sich in den nächsten Jahren als sehr fruchtbar. Zum Matador I gesellten sich ab 1957 der Wiking I der mit dem etwas überarbeiteten Heinkel Motor mit nun 20 PS angeboten wurde und der (Wiking-) Rapid, mit wassergekühltem Austin A35 Viertakt-Motor mit 35 PS aus 948 m³ und einer Tonne Zuladung.


Die Motorkühler waren bei diesen Fahrzeugen über dem Kupplungs-Getriebeblock angeordnet, der Ventilator wurde durch eine ellenlange Welle von der Rückseite des Motors angetrieben, und den Weg vom Kühler zum Motor hatte eine kleine Pipeline zu überbrücken.

Eine sehr elegante Lösung wurde für die Schaltung in den neuen Modellen ab 1957 gefunden. Der damalige Cheftechniker im Hause Vidal & Sohn, Dietrich Bergst, wünschte sich den Schaltknüppel griffgünstig rechts neben dem Lenkrad – eine bei der Motor-Getriebeanordnung keineswegs einfache Aufgabe. Aber der Wunsch des Chefs war seinen Konstrukteuren Befehl, und so kam eine sehr fortschrittliche Lösung zustande, die sehr komfortabel zu bedienen war und Platz für drei Personen auf der vorderen Sitzbank ermöglichte.

Lange Lüfterwelle, noch längere Kühlwasserleitung, die Hinterräder einzeln an Schraubenfedern aufgehängt, lange Führungslenker – fahrzeugbautechnische Raritäten

Matador l mit modernerem Fahrerhaus, aber unveränderter Fahrwerks-Technik


Die Schaltung im Matador 1 genoss konstruktiven Seltenheitswert
Kommentar: Warum denn einfach, wenn’s auch anders geht

Umfangreich war für die damalige Zeit bereits das Angebot an Typen und Varianten. So standen Kastenwagen, Pritschenwagen, Doppelkabiner, Kombis und Kleinbusse auf dem Programm, und wem diese Auswahl noch nicht genügte, der konnte sich unter einem vielfältigen Sortiment an Sonderaufbauten umschauen. Der Vorderwagen mit Antrieb auf die Vorderräder und die Möglichkeit zu individuellen Rahmenverlängerungen gestattete unterschiedlichste Sonderkonstruktionen. Als repräsentativ für unzählige Lösungen seien hier nur zwei Beispiele genannt:

Messebus mit vier Fahrgastabteilen und Hubwagen für die Lufthansa mit hydraulischem Scherenhubwerk.

Matador E –

eine grundlegende Neuentwicklung des bewährten Konzepts.

1963 trat ein von Grund auf neu entwickelter Matador an die Stelle der bisherigen Typenreihe Wiking – Matador. Aus dem Matador I, dem Wiking I und dem Rapid war ein Matador E geworden. Ein Einheitsmodell, mit dem die gesamte Nutzlastpalette von knapp 1t bis 1,6 t Nutzlast bestrichen wurde. Bei dieser letzten Konstruktion aus der Rheinstahl-Ära, die bis hin zum modernen MB100 aus den 1990er Jahren noch im wesentlichen existierte, hatten die Ingenieure an Bewährtem festgehalten, zugleich aber den neuesten Stand der Entwicklungstechnik auf die Praxis übertragen. Bewährt heißt in diesem Fall: Frontmotorblock und Antrieb der Vorderräder, universell verlängerbarer Parallel-Rohrrahmen für individuelle Radstandsvorstellungen und Hinterachs-Fahrschemel. Für beide Achsen hatten sich die Konstrukteure zu Drehstabfederungen entschlossen, vorn in Längsrichtung, hinten Querstäbe, und bei der Installierung des Triebsatzes – Motor-Kupplung-Getriebe – traf man jetzt auf die klassische Anordnung in Fahrtrichtung. Neu war auch das Fahrerhaus in Frontlenkerbauart und mit großzügigerer Verglasung rundum. Bei der Lage des Motors vor der Vorderachse ließ sich ohne jegliche Beladung natürlich eine gewisse Kopflastigkeit nicht austrimmen. Dafür war aber unter allen Belastungszuständen für hinreichende Adhäsion der Antriebsräder gesorgt. Als Motoralternative gesellte sich zum bekannten Austin-Benziner ein von Borgward konstruierter Vierzylinder Hanomag Diesel-Motor mit 50 PS, der bereits in wenigen Exemplaren auch beim Vorgängermodell Matador I verbaut wurde.

Motor und Antrieb vorn = gute Adhäsion der angetriebenen Räder auch bei Leerfahrt

Annähernd drei Jahrzehnte Transporterbau. Der Matador (rechts) mit VW Motor startete ab 1949, der Matador E (Mitte) wurde von 1963 bis 1967 gebaut, 40.330 mal, zunächst als Tempo und ab 1965 unter Hanomag Regie. Als Hanomag-Henschel präsentierten sich diese Fahrzeuge F 20 – F 35 1967 in neuem Gewand. Danach zierte sie der Mercedes-Stern (links, orange).

Im Vergleich zum Matador I (ganz links, grün) und seinen Wiking-Brüdern wurde der neue Matador E bei seiner Vorstellung vor fast sechzig Jahren in jeder Beziehung als ein Riesenschritt nach vorn empfunden. Da war man sofort mit der konventionellen Knüppelschaltung vertraut, registrierte die Abstimmung der Drehstabfederung an beiden Achsen einschließlich Straßenlage als gelungen und hatte neben dem laufruhigen und zuverlässigen Benzinmotor von Austin mit 54 PS aus 1600 cm³ Hubraum einen wirtschaftlichen Diesel in dem gleichen Leistungsbereich zur Auswahl.

In den Jahren 1963 bis 1967 wurde der Hanomag Matador E in der stattlichen Stückzahl von 40.330 Exemplaren im Werk Hamburg-Harburg gebaut. Der Dieselmotor hatte ihm neue Käuferkreise erschlossen. Das von Haus aus etwas schmalstirnig geratene Fahrerhaus musste sich dagegen schon nach verhältnismäßig kurzer Produktionsperiode deutliche Gesichtsoperationen gefallen lassen. Die Retuschen bekamen ihm in vielerlei Beziehung gut. Die Motorabdeckung rückte als Ergebnis eines etwas längeren Vorbaues aus dem Einzugsbereich der Sitze heraus, so dass vom Fahrerhaus direkt in den Wagen durchgestiegen werden konnte. Im Fußraum ergab sich mehr Bewegungsfreiheit, die Fensterfläche wuchs abermals zur Verbesserung der Sichtverhältnisse auf die Straße und dem Armaturenbrett spendierte man als Schutz gegen Verletzungen eine Polsterung.

Sicherheitsüberlegungen spielten auch bei der stärker markierten Buggestaltung eine Rolle. Mehr Vorbau vor dem Fahrerhaus ist gleichbedeutend mit größerer Knautschzone und Schutz der Insassen bei Auffahrunfällen. Auf Wunsch stand ab diesem Zeitpunkt der Kundschaft eine Frontscheibe aus Verbundglas zur Verfügung. Verankerungen für Sicherheitsgurte waren in den konstruktiven Veränderungen ebenfalls mit berücksichtigt worden.

Das Unternehmen firmierte in dieser Zeit unter dem Namen Rheinstahl-Hanomag, und das Hanomag Markenzeichen trugen auch die von ihm gebauten und vertriebenen Fahrzeuge am Bug. Bei den zusätzlichen Typenbezeichnungen F20 – F36 wusste der Branchenkundige, dass die Leichttransporter gemeint waren – entsprechend dem zulässigen Gesamtgewicht zwischen 2400 und 3500 kg.

Unter Mercedes-Regie

Transporter des Jahres 1970

vom Hanomag zum Mercedes – äußerlich kaum zu unterscheiden änderte sich dennoch fast alles

Es sollte aber nicht allzu lange währen, ehe abermals – zunächst durch ein ergänzendes Firmensymbol und in der weiteren Folge durch ein neues Markenzeichen an der Stirn des ehemaligen Matador – den Leuten auf der Straße klargemacht wurde, dass die Transporter und Lkw von Hanomag-Henschel erneut den Vater gewechselt hatten. Am 1. April 1969 war Mercedes mit 51 % bei den neu gegründeten Hanomag-Henschel-Fahrzeugwerken eingestiegen, dem aus dem Rheinstahl-Konzern ausgegliederten Nutzfahrzeugsektor. Den Leichttransportern wurde daraufhin im Zuge der eingeleiteten Konzernintegration bald der Zweiliter-Mercedes-Diesel mit 55 PS verpasst, was sie durch einen zierlichen Stern und das Wort Diesel zur Schau trugen, und als der mit so viel Hoffnungen gestartete zweite Vertriebsweg von Daimler-Benz, die HHF in Hannover, nicht funktionierte und Mercedes von seinem Vorkaufsrecht bei Hanomag-Henschel Gebrauch gemacht hatte, rollten bald die Transporter aus Hamburg-Harburg und Bremen sowie die schweren Kaliber von Henschel aus Kassel mit dem Mercedes-Stern als neuem Markenzeichen aus den Fabriken.

Gerechterweise müssen wir bekennen, dass sich unter der Regie von Daimler-Benz die Transporter weiter herausgeputzt hatten und von Mercedes erhebliche Mittel investiert wurden, um die Konstruktion zu verbessern und um im Transporterwerk Bremen die Voraussetzungen für eine rentable Großserienfertigung zu schaffen. Ein Hauptanliegen der Verantwortlichen in Bremen war die Kontrolle der Fabrikation im Teilebau und in der Fahrzeugmontage auf Qualität und Zuverlässigkeit. Bei einem Rundgang durch die Werkshallen und vorbei an den Montagebändern wurde uns das nachhaltig vorexerziert.

Mit der Installierung des 55 PS-Dieselmotors aus dem Mercedes 200 D und einer überarbeiteten Motorlagerung wurde eine merkliche Absenkung der Innengeräusche erreicht. Weitere Änderungen:

· Modifizierter Motoreinbau bedingte längeren Vorbau und damit mehr Knautschzone,

· Verlagerung der Türscharniere nach innen:

– Einbau von Türschlössern mit Sicherheitsverriegelungen am Fahrerhaus,

· Völlige Abpolsterung des Armaturenbrettes, Knieschutzleiste

· Hinterradbremsen serienmäßig mit lastabhängiger Bremskraftregelung,

· Zweikreisbremssystem auf Wunsch.

Daimler-Benz rundete die eigenen Liefer- und Lastwagenpalette in den Klassen von 4 bis 26t Gesamtgewicht mit den Leichttransportern von Hanomag-Henschel nach unten ab und übernahm die stille Verpflichtung, aus den Adoptivkindern das zu machen, was die Öffentlichkeit unter Mercedes-Fahrzeugen versteht: robuste, zuverlässige, dauerhafte Automobile mit hohem Gebrauchs- und gutem Wiederverkaufswert.

In schneller Folge waren mit dieser Zielsetzung in den Jahren 1972/73 Änderungen und Verbesserungen an der bestehenden Transporter-Konstruktion fällig, die den Umfang eines ganzen Katalogs erreichten.

1972: Um die Leistungs- und Zugkrafteigenschaften der Diesel-Transporter den Anforderungen des Straßenverkehrs anzugleichen, musste der Zweiliter Motor mit 55 PS der kräftigeren 60 PS-Maschine mit 2,2 1 Hubraum das Feld räumen. Weitere Neuerungen wurden vor allem dem Fahrer durch besseren Sitzkomfort, leichtere Fahrzeugbedienung mit hängenden Pedalen für Kupplung und Bremse, eine leistungsfähigere Heizung mit intensiverer Frontscheibenentfrostung und Maßnahmen zur Erhöhung der aktiven und passiven Fahrzeugsicherheit zuteil.


Oben: Mercedes L 307 mit 70-PS-Benziner und langem Radstand.
Mitte: Krankenwagen wahlweise mit Leichtlastfedern oder Niveaumat an der starren Hinterachse lieferbar. Fahrkultur auf Wunsch.
Unten: Hanomag-Henschel F 20, vom Nachfolger mit Mercedes- Stern äußerlich nicht zu unterscheiden.

Nach entsprechender Änderung erfüllten die Schlösser der Türen und die Türscharniere vom Fahrerhaus die ECE-Bestimmungen, mit einem verbesserten Bremskraftregler für die Hinterachse wurde die Neigung zum Überbremsen der Hinterräder bei leerem Fahrzeug abgebaut, und Detailänderungen wie handlichere Türgriffe und ein Zündschlüssel mit nachgiebigem Griff trugen dazu bei, den täglichen Umgang mit den Transportern sympathischer zu gestalten.

Ein Jahr später, Im Februar 1973, wurden erneut grundlegende Verbesserungen am Transporter, der jetzt L 206 D/306 D und L 207/307 hieß, je nach Motorausstattung, eingeführt. Die Bremsanlage hatten die Mercedes-Ingenieure inzwischen völlig überarbeitet, die Vorderradbremsen erheblich verstärkt und damit ihr Ansprechverhalten und die Standzeiten verbessert. Serienmäßig wurde für alle Typen das Zweikreisbremssystem übernommen und die Modelle mit 3,1 und 3,5 t Gesamtgewicht zusätzlich mit einem Bremskraftverstärker versehen. Die Bremskraftregelung der Hinterräder konnte zugleich im Ansprechverhalten verfeinert und mit einer sogenannten hydraulischen Durchsteuerung ausgestattet werden: Diese Steuerung bewirkt bei Ausfall des Vorderradbremskreises die ungehinderte Versorgung der Hinterräder mit hydraulischem Druck, was gleichbedeutend mit einer beträchtlichen Erhöhung der Restbremswirkung ist.

(links) Matador E, 1963 bis 1967. Parallel-Rahmen, Antriebsblock in Fahrtrichtung mit Motor vorn, Fahrschemel-Hinterachse.
(rechts) Stand der Fahrwerkstechnik 1975: Fronttriebsatz wie gehabt, geweiteter Rohrrahmen hinten.

Den Hinterachs-Fahrschemel mit Federung durch Drehstabbündel gab Daimler-Benz zu diesem Zeitpunkt auf und ersetzte ihn durch eine in der Herstellung günstigere und im Komfort durch Feinabstimmung bessere Starrachs-Lösung mit Aufhängung an langen, weichen Blattfedern sowie schräggestellten, reichlich dimensionierten Stoßdämpfern. Als interessante Leistungsalternative wurde dem 60 PS Diesel ein stärkerer Benziner mit 70 PS und 1,8l Hubraum zur Seite gestellt. Bei einer Verdichtung von 8:1 verdaut er Normalkraftstoff und macht die leichten Mercedes-Transporter zu schnellen, komfortablen Lieferfahrzeugen.

Im Innern trug eine freundlicher gestaltete, in den Abmessungen bescheidenere und nachgiebige Motorabdeckung, die zugleich als Ablage ausgebildet wurde, zu mehr Wohlbefinden bei. Halogenlicht und die für Schweden gesetzlich vorgeschriebene Scheinwerfer-Wisch-Waschanlage gab es auf Wunsch.

Den damals neuesten Stand der Technik am Leichttransporter verkörperte eine Sicherheitslenkung mit Gelenk, so dass bei Auffahrunfällen Lenksäule und Lenkrad dem Fahrer nicht zu nahe kommen können, und mit der serienmäßigen Lieferung von Radialreifen respektierte man die Wünsche der Fahrzeughalter nach größerer Leichtgängigkeit der Lenkung und insgesamt neutraleren Lenkeigenschaften des Fronttrieblers.

Crash-Tests

Bald nach der Übernahme der Leichttransporter startete Daimler-Benz ein umfangreiches Testprogramm zur Untersuchung der Konstruktion auf Unfallsicherheit. Aus Barrieren-Auffahrversuchen wurden wertvolle Erkenntnisse über das Knautschverhalten von Rahmen und Bugpartie sowie den Frontscheibeneinbau gewonnen. Diese Erfahrungen wurden bei den in den Jahren 1970/72 vorgenommenen Verbesserungen berücksichtigt, so dass die Transporter die damaligen US-Bestimmungen für Pkw hinsichtlich

  • Verschiebung der Lenksäule nach hinten,
  • Frontscheibeneinbau und
  • Dichtheit der Kraftstoffanlage

voll und ganz erfüllten. Darüber hinaus wurden die damaligen ECE-Bestimmungen in Bezug auf den Überlebensraum bereits vor ihrer Einführung eingehalten.

Großserienfertigung liefert Nutzfahrzeuge für jeden Kunden nach Maß

Bei den Auffahrtests blieben die Fahrerhaustüren geschlossen, ließen sich aber nach dem Aufprall ohne Schwierigkeiten öffnen. Das weitere Versuchsprogramm zum Nachweis von Sicherheitsreglements in den einzelnen Ländern umfasste Pendelaufschlagtests für Armaturenbrett, Sitzrückenlehnen und Sonnenblenden sowie Aufprallversuche auf die Trennwand des Laderaums entsprechend der Schweden-Norm. Zur Überraschung selbst der Konstrukteure im Hause Mercedes erwies sich der Leichttransporter bei allen diesen Tests als bemerkenswert stabil und verformungselastisch.

Obwohl Mercedes nach der Eingliederung der leichten Transporter von Hanomag-Henschel in das Konzernprogramm viel an der Konstruktion getan hatte und man stolz auf die geleistete Arbeit sein konnte, war die technisch letzte Stufe gewiss noch nicht erreicht. Zu schnell schritt die Entwicklung voran, als dass selbst nach 20 jähriger Produktionszeit vom Endzustand der Fahrzeugkonzeption gesprochen werden konnte. Wie groß die erzielten Fortschritte im Liefer- und Lastwagenbau in der Zeit von 1960 bis 1975 waren, das erlebten wir bei Probefahrten mit Transportern aus der Ahnenreihe Tempo-Hanomag-Mercedes. Den Tempo Matador mag man zu seiner Zeit Anfang der sechziger Jahre als ein modernes Lieferfahrzeug angesehen haben. 1975 empfand man das Fahren und die Fahreigenschaften dieser Konstruktion schlicht gesagt als Zumutung. Darin offenbart sich im Grunde genommen am deutlichsten, was Fortschritt im Automobilbau heißt. Damit sollen und können jedoch die Arbeiten der Konstrukteure von damals nicht geschmälert werden.

Daimler-Benz hatte sich aber nicht nur mit Eifer darum bemüht, den Zögling aus den Hanomag-Reihen schnell auf den Stand aller Mercedes-Lkw zu bringen, sondern sein Augenmerk zugleich auf die Belange seiner wirtschaftlichen Produktion gelegt und im Werk Bremen für eine breite Transporter-Modellskala eine weitgehend rationalisierte Großserienfertigung aufgezogen. Moderne Technik, ein vielfältig interessantes Typenprogramm, große Stückzahlen zu wettbewerbsfähigen Preisen und eine straffe Vertriebsorganisation – all das zusammen war der Schlüssel für den Erfolg des ehemaligen Tempo Lieferwagens unter dem Mercedes-Firmensymbol.

Barrieren -Auffahrtest nach SAE-Norm J 850 bestanden.
Die Türen bleiben geschlossen, lassen sich aber anstandslos öffnen. Die Frontscheibe überstand den gewollten Auffahrunfall ohne Bruchschaden. Alle damaligen Normen wurden eingehalten. Aus dem altem Tempo wurde ein echter Mercedes, in jeder Beziehung.

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